Änderung der bundesgerichtlichen «Microsoft-Rechtsprechung» zum Ausnahmetatbestand für freihändige Vergaben bei technischen Besonderheiten (Art. 21 Abs. 2 lit. c IVöB / BöB)
Gemäss dem Ausnahmetatbestand von Art. 21 Abs. 2 lit. c IVöB und Art. 21 Abs. 2 lit. c BöB ist eine freihändige Vergabe ausnahmsweise auch über den Schwellenwerten zulässig, wenn aufgrund der technischen oder künstlerischen Besonderheiten des Auftrags oder aus Gründen des Schutzes geistigen Eigentums nur eine Anbieterin in Frage kommt, und es keine angemessene Alternative gibt.
Im «Microsoft-Urteil» (BGE 137 II 313) hatte das Bundesgericht zum Vorgänger dieser Ausnahmebestimmung festgehalten, dass die Beweislast für das Vorliegen der zweiten Voraussetzung, d.h. für das Fehlen einer angemessenen Alternative, nicht bei der Vergabestelle liegt (BGE 137 II 313 E. 3.5.2). Ein Dritter, der gegen eine solche Freihandvergabe Beschwerde erhebt, musste gemäss dem Bundesgericht im Beschwerdeverfahren substantiiert geltend machen, dass er eine konkrete Lösung anbietet, welche sowohl funktional als auch wirtschaftlich eine angemessene Alternative darstellt (BGE 137 II 313 E. 3.5.2 und 3.6.1).
Von dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesgericht nun ausdrücklich abgewendet. Im Urteil 2C_50/2022 vom 6. November 2023, zur Publikation vorgesehen, hat das Bundesgericht entschieden, dass die Vergabestelle die Beweislast auch dafür trägt, dass es keine angemessene Alternative gibt. Das Bundesgericht führt aus, dass die Vergabestelle verpflichtet ist, ihren Bedarf auf transparente und wettbewerbsorientierte Weise zu definieren und die technischen Spezifikationen für den zu vergebenden Auftrag objektiv festzulegen. Da Dritte grundsätzlich keine Kenntnis von diesen Spezifikationen haben, ist die Vergabestelle als einzige in der Lage, festzustellen, ob andere Lösungen die geforderten technischen Spezifikationen sowohl in funktionaler als auch in wirtschaftlicher Hinsicht zufriedenstellend erfüllen (Urteil des Bundesgerichts 2C_50/2022 vom 6. November 2023 E. 5.9.1, zur Publikation vorgesehen).
Anlass zu dieser Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gaben unter anderem die in der Lehre geäusserte Kritik am «Microsoft-Urteil» sowie gewisse abweichende Entscheide von Vorinstanzen des Bundesgerichts, wie dem Bundesverwaltungsgericht.
Beitrag von Virginia Ondelli